Aus dem Leben der Bruderschaft

Im September 1881 schreibt der Balver Verwaltungschef, Amtmann Krumm, an seinen Vorgesetzten in Arnsberg folgenden Brief über das Balver Schützenfest:


Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich in Erledigung der Verfügung vom 19. August d.J. Nr. 5235 gehorsamst zu berichten, dass ich betreffs der Schützenfeste im diesseitigem Amte folgende Wahrnehmungen gemacht habe:

Zunächst die Veranstaltung zur Feier der Schützenfeste in Erwägung ziehend, so habe ich leider wahrnehmen müssen, dass nur leichtfertige Wirthe, um etwas zu verdienen, oder auch gleichzeitig ihre schlechten Getränke zu verkaufen, auch Kaufleute, um ihre verlegenen bunten Lappen abzusetzen, hauptsächlich, ja fast ganz allein, die Anregung zur Schützenfestfeier geben.

Solche Wirthe und Kaufleute stecken sich in der Regel hinter das Gesindel und verstehen es, dasselbe so zu bearbeiten, dass von ihm die Feier des Schützenfestes beim Schützenvorstand beantragt wird.

Ob volkswirthschaftliche Interessen, als z.B. Missernten, Geschäftflauten, andere Nothstände gg. es auch gebieten, die Feier des Festes auf ein Jahr hinaus zu verlegen, dieses wird nicht respektiert.

Der Wirth, der Kaufmann, das Gesindel frägt nichts danach, der Wirth, der Kaufmann muss verdienen, das Gesindel muß jubeln, das Geld, welches nöthig zur Bestreitung der dringend nothwendigen Lebensbedürfnisse ist, muss verjubelt, muss verwichst (verschwendet) werden.

Wenn auch der Schützenvorstand nicht für die Feier ist, – o weh dann, den einzeln Mitgliedern desselben, welche sich öffentlich dagegen aussprechen; man droht ihnen mit Fensterein-schmeißen, durchprügeln gg. So sieht sich schließlich der Schützenvorstand genöthigt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich gegen seinen Willen an die Spitze der Feier zu stellen.

Was nun die Feier der Schützenfeste selbst anlangt, so erlaube ich mir die darüber gemachten Wahrnehmungen und Beobachtungen hiermit wie folgt, niederzulegen.

Es ist eine sich jedes Jahr wiederholende Erscheinung, dass die Schützenfeste am meisten von solchen Leuten frequenirt werden, die nicht in der Lage sind, ihre nothwendigen Lebensbedürfnisse, Steuern und Gemeindeabgaben zu bezahlen. Für die Schützenfesttage wissen sie aber immer Geld genug aufzutreiben, vielfach durch Anpumpen gutherziger und bemittelter Leute.

An diesen Tagen lassen sie dann das Geld leichtfertig springen, wenn auch kurze Zeit darauf kein Brod im Hause ist und sie vom Gerichtsvollzieher oder Steuer-Vollziehungsbeamten für unpfandbar geschrieben werden müssen, oder gar im nächsten Winter der öffentlichen Armenunterstützung anheim fallen.

Nun der besser situierte Theil der Bevölkerung!

Dieser, wenn er auch in schlechten Zeiten noch so sehr gegen das Schützenfest ist, vermag sich der Feier desselben nicht ganz zu entziehen, weil er weiß, daß er sonst großen Unannehmlichkeiten von Seiten des Pöbles ausgesetzt wird. Er wird somit nolens volens (wohl oder übel) gezwungen, der Feier beizuwohnen und dabei das Geld gegen seinen Willen auszugeben.

Wie viel Geld wird nicht durch ein Schützenfest einem Dorfe entzogen? Was kostet nicht die Musik, was nicht der Wein (in der Regel der gewöhnlichste Kutschwein) gg. für welche das Geld doch lediglich in die Tasche auswärts Wohnender fließt? Nicht aber allein, dass das Geld ausgeführt wird, die Gelage werden, wenn auch die eigentliche Schützenfestfeier nur 2 Tage dauert, von der niedersten Volksklasse häufig noch 2 Tage darnach in den Wirthshäusern des Ortes fortgesetzt.

Die Schützenfeste sind dann nicht mehr Volksfeste, sondern Höllenfeste, wie sich vor einigen Jahren ein frommer und hoch angesehener Superintendent in seiner Predigt treffend ausdrückte.

Vor etwa 2 Monaten hatte ich Gelegenheit mit einem Iserlohner Nadelfabrikanten auf der Ruhr-Sieg Eisenbahn zusammen zu reisen. Derselbe, als ich ihm als Amtmann von Balve vorgestellt war, ließ sich auf die furchtbarste Weise über die diesjährige Schützenfestfeier in Balve aus. Ich könnte, sagte er auch meine Nadeln schleifen lassen, um aber die armen Leute in Balve zu beschäftigen, und nur deswegen allein, lasse ich die Nadeln nach der alten Methode noch feilen.

Obwohl ich so den Leuten jahrein, jahraus für Brod sorge, haben sie mich in der Woche des diesjährigen Schützenfestes durch die zu demselben gehaltene Nachfeier, durch die Saufereien in den Wirthshäusern des Ortes, vollständig im Stich gelassen, so dass ich am Ende meinen kontraktlichen Verpflichtungen: das bestimmte Quantum fertiger Nadeln abzuliefern, nicht nachkommen konnte und zu Schaden kam.

Nach den geschilderten Vorgängen bedarf es wohl keiner weiteren Frage mehr, daß die Schützenfeste, wie im übrigen Sauerlande auch im hiesigen Amte ausgeartet sind, das ihr eigentlicher Charakter, Feste zu Aufmunterung und Befestigungen des gegenseitigen Schutzes, im edlen Sinne gemeint, zu sein, vollständig verloren gegangen ist. Nirgends mehr, als gerade im Suaerlande, werden auch die Schützenfeste gefeiert.

Fast jedes Dörfchen hat sein Schützenvereins-Statut, um auf diese Weise doch Gelegenheit zu finden, mindestens jedes Jahr einmal ein mehrtägiges Tanzvergnügen u. Trinkgelage zu veranstalten, ohne dazu die spezielle Genehmigung der Ortspolizeibehörde nöthig zu haben. Eine weitere Bedeutung haben diese Schützenfeste, die man dazu noch neben anderen bedeutungsvolleren Festen, als Krieger- und landwirthschaftlichen Festen feiert, nicht mehr.

In meiner Heimaht, dem wohlhabenden Siegerland, werden nur Schützenfeste (einmal jährlich) in den Städten Siegen und Hilchenbach gefeiert. Die reiche Stadt Siegen (mit etwa 14000 Einwohnern und industrieller und sehr bevölkerter Umgegend) hat sogar in den letzten Jahren, um die Zahl der öffentlichen Feste zu verringern, ihr Schützenfest mit dem Kriegerfest vereinigt.

Nach meinem Dafürhalten muss auf die Verringerung der Schützenfestfeierlichkeiten ernstlich hingewirkt und andere Bestimmungen, wie bisher über die Zulässigkeit derselben bestanden, erlassen werden. Nach den bisher bestandenen Bestimmungen, kann nur die Feier des Schützenfestes untersagt werden, wenn Bedenken polizeilicher Natur, als früher bei dieser Gelegenheit vorgefallenen Schlägereien, großer Unfug, öffentliche Ruhestörung gg. dieser entgegenstehen; die volkswirthschaftliche Seite kann aber zur Inhibirung (Verhinderung) einer beabsichtigten Schützenfestfeier nicht in Betracht kommen.

Gerade die volkswirthschaftliche Seite muss wesentlich mitentscheidend sein, ob die Schützenfestfeier in diesem oder jenem Jahr stattfinden kann oder ausbleiben muss. Nach dieser Richtung hin, muss es aber auch der Ortspolizeibehörde in die Hand gelegt werden, für jeden einzelnen Fall ermächtigt zu sein, die Feier des Schützenfestes zu untersagen, damit nicht das leichtsinnige Volk auf Grund eines Schützenfest-Statut berechtigt ist, in Jahren des Mißwachses und eines allgemeinen Nothstandes das zur Bestreitung der nothwendigen Bedürfnisse so sehr nöthige Geld in Tanzbelustigungen und Saufgelagen zu vergeuden.

Gern gönnt ja ein Jeder, der nicht gerade Misanthrop (Menschenhasser) ist, dem Volke auch seine Vergnügungen. Es muss aber dabei Maaß und Ziel gehalten werden und dieserhalb doch nicht blinden Willkürlichkeiten gefolgt, sondern vor Allem den Zeitverhältnissen Rechnung getragen werden.

Ungemein hat es mich gefreut, dass ein Herr Bergenthal in seinem Handelskammerbericht den Gedanken der Ausartung der Schützenfeste im Sauerlande aufgegriffen, mehr noch hat es mich gefreut, dass das Königliche Landrathsamt diesen Gedanken verfolgt hat.

Ich gebe mich der frohen Hoffnung hin, dass Euer Hochwohlgeboren hochgeneigtest meiner Ansicht, dass auch den Schützenfestfeierlichkeiten in volkswirthschaftlicher Richtung Schranken gesetzt werden müssen, beipflichten werden.

Der Amtmann Krumm